Dritter Teil der Ausstellungsreihe ›Die Lebensalter‹ 12. Mai 2020 – 24. Januar 2021
Freuen Sie sich mit uns! Seit dem 12. Mai ist das Museum wieder geöffnet. Wir möchten Ihnen hier einen kleinen Einblick in die Ausstellung bieten und Sie Woche für Woche mit einem neuen Ausstellungsstück neugierig machen.
Liebe/r Museumsbesucher/in,
Wahrscheinlich sind Sie selbst im Erwachsenenalter und treffen hier auf ihr eigenes Spiegelbild, das von Portraits erwachsener Männer und Frauen aus vergangenen Jahrhunderten umgeben ist.
Es sind Menschen aus unserer Region. Hätten Sie in deren Zeiten gelebt, hätten Sie den einen oder die andere womöglich sogar gekannt. Mit dieser Begegnung und den Gedanken, die Sie bewegen, sind Sie eingeladen zu einer informativen wie unterhaltsamen Reise in vergangene Lebenswelten des Erwachsenseins und zur Reflexion über das gegenwärtige eigene Lebensalter.
Die Ausstellung beginnt mit einer großen Rauminstallation
Von der Geburt bis zum Tod wird das menschliche Leben geprägt von Ort und Umwelt mit ihren politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten. Sie formen unsere Lebensgrundlagen. Die dritte der Lebenszyklus-Ausstellungen beschäftigt sich mit dem Erwachsensein, d.h. der Zeit der Erwerbstätigkeit vom Eintritt bis zum Ausscheiden aus der Berufswelt.
Einst zählten Besitz, Beruf und Heirat zu den geforderten Voraussetzungen für eine Familiengründung. Damit legitimierten Staat und Kirche nicht nur den biologischen und wirtschaftlichen Fortbestand der Familie, sondern bestimmten auch den Lebenszweck und die Aufgaben des erwachsenen Individuums.
Meist ist uns nicht mehr bewusst, dass dabei für die verschiedenen Stände unterschiedliche Regeln galten, dass damit ein Besitzloser nicht heiratsfähig war und von Staats wegen keine Nachkommen haben sollte.
Dies und vieles andere scheint lange her zu sein. Dennoch wird gesellschaftliche Zugehörigkeit auch heute noch vielfach über soziale und wirtschaftliche Gegebenheiten definiert.
Die Ausstellung »Wie es war und ist erwachsen zu sein« geht auf Spurensuche, blickt durch Zeitfenster in die Vergangenheit und zeigt an den Themen Heirat, Beruf und Geschlechterzugehörigkeit exemplarisch Kontinuität und Wandel in der Welt der Erwachsenen auf. Damit eröffnet sie ein Verständnis für die gewachsenen Verhältnisse der Gegenwart.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
Dauer der Ausstellung
12. Mai 2020 – 24. Januar 2021
Gesellenbrief
Mischtechnik auf Pergament
München 1815
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Eine abgeschlossene Berufsausbildung ist von jeher die beste wirtschaftliche Basis für einen erfolgreichen Start in ein selbstbestimmtes Erwachsenenleben. Und wenn durch Freizügigkeit in der Berufswahl heute seltener Söhne dem Vater im Beruf nachfolgen und es für Töchter selbstverständlich ist, eine Ausbildung zu machen, so sind diese Entwicklungen doch im Wesentlichen Errungenschaften der letzten 100 Jahre. Derzeit absolvieren in Bayern über ein Viertel aller Auszubildenden eine Lehre im Handwerk.
Einst entstand das Handwerk durch Arbeitsteilung. Im frühen Mittelalter entwickelte es sich an den Herrenhöfen auf dem Land und differenzierte sich im Verlauf der Jahrhunderte in den aufstrebenden Städten und Märkten aus. Die historische Entwicklung des Handwerks im Dachauer Land wurde vor allem durch das Anwachsen der Marktorte Bruck und Dachau und die wirtschaftliche Entfaltung der Klöster Fürstenfeld und Indersdorf vorangetrieben. Bis zur Gewerbefreiheit im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts regelten und sicherten Zünfte die Qualität der Ausbildung sowie der handwerklich hergestellten Erzeugnisse. Außerdem sorgten sie solidarisch für ihre Mitglieder und sind daher Vorläufer der heutigen Berufsgenossenschaften. Nach wie vor endet eine erfolgreich abgeschlossene Handwerksausbildung mit der Freisprechung zum Gesellen und der Überreichung eines entsprechenden Zeugnisses.
Dieser Gesellenbrief wurde vor mehr als 200 Jahren dem jungen Gärtner Martin Michael Scharl am Ende seiner dreijährigen Lehrzeit ausgehändigt. Es ist ein außergewöhnlich aufwändig und schön gestaltetes Dokument.
In dieser Urkunde bescheinigte ihm sein Lehrmeister Franz Sales Walch neben angestrengtestem Fleiß, untadelhaftestem Betragen, die Kunst der Gärtnerey vollkommen erlernt und seine Freizeit mit Zeichnen verbracht zu haben. Dieser Hinweis ist ganz und gar ungewöhnlich und lässt vermuten, dass der Gärtnergeselle seine Urkunde in feinster Kalligraphie selbst geschrieben und mit Aquarellen verziert hat. Neben Blüten und Ranken finden sich darauf die allegorische Darstellung der Göttin Flora, eine Stadtansicht Münchens und das erste wenige Jahre gültige Wappen des bayerischen Könighauses. Die unscheinbare und kleine Unterschrift seines Lehrherrn (von der dekorierten Knickleiste unten verdeckt) unterstützt diese These.
Wer aber war sein Lehrmeister? Franz Sales Walch war ein angesehener Gärtner in der Haupt- und Residenzstadt München und ein wohlhabender Bürger, der vor dem Tor in der Isar-Vorstadt seine Gärtnerei betrieb und in der Badstraße ein Wohnhaus besaß. Seine Söhne Martin und Dionisius wurden ebenfalls Gärtner, der eine in der Bayerstraße, der andere in der Lerchenstraße, wie es das Münchner Adressbuch von 1845 vermerkt.
Flora, römische Göttin der Blumen und des Frühlings mit der Ansicht der Residenzstadt München im Schild, Aquarell
Flora, römische Göttin der Blumen und des Frühlings mit der Ansicht der Residenzstadt München im Schild, Aquarell
Sein ehemaliger Gärtnerlehrling Martin Michael Scharl war der Sohn eines Tagelöhners und stammte aus der Oberpfalz, genauer aus Aschach im Amt Amberg. Wie es dazu kam, dass er in der bayerischen Hauptstadt von 1812 bis 1815 das Gärtnerhandwerk erlernte, ist nicht bekannt. Über seinen weiteren Lebensweg wissen wir nichts.
Weiteres Detail aus dem Gesellenbrief: Das Beerenmotiv ist als Lesezeichen im Museumsshop erhältlich.
Das Bayerische Königswappen unter Max I. Joseph
Krone, Zepter und Schwert (im Zentrum) sind Insignien der Herrschaft und verweisen auf den Aufstieg des ehemaligen Kurfürstentums Bayern und die Erlangung der Königswürde für den Pfälzer Wittelsbacher Max Joseph.
Transkription der Urkunde (bearbeitet)
Des Allerdurchlauchtigst Großmächtigsten Königs von Baiern, des Allergnädigsten Königs und Herrn
Ich, Franz Sales Walch, bürgerlicher Stadtgärtner urkunde und bekenne in Kraft dieses offenen Briefs gegen Jedermann, daß Martin Michael Scharl, Tagelöhnerssohn aus Aschach, Landgericht Amberg, am 6ten Jänner 1812 zu mir in die Lehre getretten, die löbliche Kunst der Gärtnerey vollkommen erlernt, und während seiner dreyjährigen, ununterbrochenen Lehrzeit überall den besten Willen gezeigt, die größte Aufmerksamkeit geäußert, die untadelhafteste Aufführung beobachtet, den anständigsten Lebenslauf geführet, mit unverdroßner Mühe jede Arbeit begonnen und unter dem angestrengtesten Fleiße dieselbe vollendet habe.
Ich bezeuge ihm ferner, daß er die Feyertagschulen mit dem größten Fleiße besuchte und die müßige Zeit auf [das] Zeichnen verwendete.
Ich spreche ihn daher von seiner ruhmvoll bestandenen Lehrzeit frey, und empfehle ihn Jedermann als einen getreuen, fleißigen, höflichen und überhaupt tugendhaften Gesellen.
München, am 6ten Jänner 1815, Franz Sales Walch
Franz Joseph Lederer (1676–1753): Propst Georgius II. Riezinger
Öl auf Leinwand, Indersdorf 1721.
Details des Krummstabs: Darstellung des Hl. Georg als Drachentöter
Wappen von Markt und Kloster Indersdorf seit dem 15. Jahrhundert
Das Bildnis von Propst Georg II. Riezinger hängt in der Ausstellung in Nachbarschaft des Portraits des ersten bayerischen Königs Maximilian I. Joseph, der als aufgeklärter Monarch und Protestant den Aufbruch des katholisch geprägten Bayern in die Moderne vollzog.
Max I. Joseph von Bayern (Ausschnitt), 129,8 x 92,4 cm, Öl auf Leinwand, nach 1806, Stadt Dachau
Selbstbewusst und prunkvoll ausgestattet wie ein Monarch wurde der Propst auf dem Gemälde mit Mitra und Krummstab verewigt. Denn die Indersdorfer Stiftspröpste wurden nicht wie üblich vom Bischof eingesetzt, sondern eigenständig durch den Chorherrenkonvent gewählt. Außerdem zählten sie zu den infulierten Pröpsten, denen das päpstliche Privileg zustand, Mitra und Stab als Zeichen der bischöflichen Amtsgewalt zu tragen. Diese Insignien ihrer Abtswürde sind auf dem Propstportrait Riezingers effektvoll in Szene gesetzt und herausgehoben im Vordergrund dargestellt.
Johann Georg Dieffenbrunner (1718–1785): Ansicht des Augustiner-Chorherrnstifts Indersdorf von Westen, Kupferstich, 1762
Wer war der Augustiner-Chorherr?
Eine lateinische Inschrift auf dem Gemälde gibt Riezingers Amtszeit als Prior an. Dort heißt es: Der sehr verehrungswürdige und hochangesehene Herr Georgius, Propst der Kirche von Indersdorf, wurde mit 46 Jahren am 9. Juni 1704 zum Propst erwählt [und] ist am 15. Oktober 1721 im Alter von 63 Jahren verstorben.
Georg Riezinger war der 36. Propst des Indersdorfer Klosters, das 1120 von Pfalzgraf Otto V. von Scheyern-Wittelsbach gegründet worden war und neben Scheyern und Ensdorf das dritte Hauskloster der Wittelsbacher wurde.
Riezinger stammte selbst aus dem Hofmarkort, ein Umstand, der in der langen Reihe der dortigen Klostervorsteher nur zweimal zutraf. Als Sohn des Färbers Adam Riezinger und seiner Frau Maria wurde er dort am 19. April 1658 geboren und wuchs im ländlichen Handwerkermilieu auf. Nach Eintritt in den Augustinerorden studierte er Theologie und Rechtswissenschaften in Ingolstadt und wirkte nach der Priesterweihe zunächst in Arnzell, später als Dekan in Pipinsried. Beide Dörfer liegen im Landkreis Dachau. Seine Wahl zum Prior des Klosters ging 1704 jedoch nicht ohne staatliche Einmischung vonstatten: Im Vorfeld der Wahl hatte Kurfürst Maximilian II. Emanuel unmissverständlich signalisiert, dass er den für das Amt vorgeschlagenen Chorherrn Augustin Michel (1662–1751) nicht anerkennen würde. Damit fiel die Wahl des Konvents auf den 4 Jahre älteren Konventualen Riezinger.
Propst Georg II. übte sein Amt in den unruhigen Zeiten des Österreichischen Erbfolgekriegs aus. Kurz nach seiner Wahl wurde das Kloster überfallen. Nach der Niederlage der Bayern und Franzosen in der Schlacht von Höchstädt im Sommer 1704 waren feindliche Truppen über Ausgpurg mit vollem Hauffen in Bayrn eingetrüngen. Am 19. August plünderten sie das Indersdorfer Kloster. Der Stiftsvorsteher flüchtete mit seinen Mitbrüdern nach München.
Anonym: Georg II. Riezinger, Portrait für die ehemalige Propstgalerie des Klosters Indersdorf. Das Bildnis diente Franz Joseph Lederer wahrscheinlich als Vorlage.
Das in der Ausstellung gezeigte großformatige Propstportrait wurde von dem Kirchenmaler Franz Joseph Lederer (1676–1733) angefertigt. Lederer, der zeitweilig auch als Hofmaler am fürstbischöflichen Hof in Freising beschäftigt war, schuf das Gemälde wahrscheinlich für den dortigen ›Fürstengang‹, der den Dom mit der Residenz des Fürstbischofs verband. Sein Bildnis steht formal wie stilistisch in engem Zusammenhang mit den von ihm für die fürstliche Galerie geschaffenen Bischofsportraits. Zu Lebzeiten Riezingers residierte in Freising Fürstbischof Johann Franz Freiherr von Eckher von Kapfing und Liechteneck (1649–1727), der ein Bewunderer des frommen Propstes zu Indersdorf war und als Auftraggeber zu vermuten ist. Johann Franz, der dem altbayerischen Landadel angehörte, hatte als Sohn eines Pflegers seine Kindheit im Hofmarkschloss Eisenhofen am Fuße des Petersbergs im Dachauer Land verbracht.
Übrigens: Heute noch ist es üblich, öffentliche Würden- und Mandatsträger*innen wegen ihrer Verdienste und zur Erinnerung für die Nachwelt in Gemälden festzuhalten – denken wir beispielsweise an die von bekannten Künstlern angefertigten Portraits der deutschen Regierungschefs im Bundeskanzleramt in Berlin.
Brautkrone, sog. Potzenhafen
Textil, Leonischer Draht, Flitter, Glasperlen
Dachauer Land, 19. Jahrhundert
S’Heirat’n is a Vogelhaus, wer drin is, kimmt nimmer raus, wer drauß’ is, der möcht’ gern nei, g’heirat muaß sei. Dieser Reim eines mehrstrophigen Lieds erklang im 19. Jahrhundert vielfach auf den großen Bauernhochzeiten im Dachauer Land. Die Gstanzln wurden dort von einer jungen ledigen Frau vorgetragen und sind in dieser Form als ›Dachauer Hochzeitssingen‹ überliefert.
Hans Jakob Mann (1887–1963): Dachauer Braut in der Kirche, 72,8 x 52,5 cm, Öl auf Leinwand, 1923 (Stadt Dachau)
Von jeher wurde dem Kopfschmuck der Braut große Aufmerksamkeit geschenkt.
In seiner Formgebung und Ausgestaltung war er an Tag der Hochzeit ausschließlich ihr vorbehalten und daher aufwändig und kostbar gestaltet. Diese Brautkronen variierten von Gegend zu Gegend. Es bildeten sich unterschiedliche Formen aus, die im Laufe der Zeit Bestandteil der regionalen Brautkleidung wurden.
Auf dem Gemälde ist die Braut mit zum Gebet gefalteten Händen kniend in einer Kirchenbank dargestellt. Ihrer Herkunft und ihrem Stand entsprechend trägt sie die Festtagstracht der bäuerlichen Oberschicht des Dachauer Landes. Lediglich der Kopfschmuck weist sie als Braut aus.
Gemälde und Objekt: Der Potzenhafen auf dem Gemälde ist nahezu identisch mit der »echten« Brautkrone in der Ausstellung
Gemälde und Objekt: Der Potzenhafen auf dem Gemälde ist nahezu identisch mit der »echten« Brautkrone in der Ausstellung
Brautkronen in dieser Form wurden im Amperland ausschließlich von Bräuten bäuerlicher Herkunft und aus wohlhabenden Verhältnissen getragen. In der Regel fertigte man nicht für jede Hochzeiterin eine eigene an, sondern lieh den Kopfschmuck in der Familie, der Verwandtschaft oder innerhalb des Dorfes aus.
Die Außenseite der Brautkrone wurde mit dunklem, meist schwarzem Stoff, die Innenseite mit naturfarbenem Leinen überzogen. Die Rückseite ist über und über mit Flitter aus gold- und silberfarbener Metallfolie sowie kleinen Gehängen aus Silberdraht und Glasperlen verziert. Kleine Spiegel, seidene Bänder, Schleifen und wattierte Zöpfe in der Unheil abwehrenden Farbe Rot sollten die Braut vor dem ›Bösen Blick‹ und anderem schlechten Zauber schützen. Dabei erinnert die zylindrische Grundform der Brautkrone an einen Topf (mhd. Hafen), weshalb sie im Dialekt auch Potzenhafen genannt wurde.
Blick in die Trachtenabteilung des Museums: Hochzeitsvitrine (Ausschnitt) und die Sammlung von Brautkronen (im Hintergrund, Ausschnitt)
Übrigens: In der Trachtenabteilung des Museums findet der Besucher den engsten Personenkreis einer Dachauer Bauernhochzeit in lebensgroßen Figurinen ausgestellt. Sie sind mit der Dachauer Tracht aus der Zeit um 1860 bekleidet. Die Kleidung wird ergänzt durch die eindrucksvolle Sammlung von historischen Braut- und Jungfernkronen.
Hochzeitskleid aus amerikanischer Fallschirmseide
Dachau 1950.
Hochzeit halten stand am Beginn der überwiegenden Anzahl junger Menschen am Beginn ihres Eintritts in das Erwachsenleben. Von Seiten des Staats wie der Kirche war sie notwendig um eine Familie gründen zu können. Voraussetzung ist die Ehemündigkeit, die heute mit der Vollendung des 18. Lebensjahres eintritt. Seit 1875 zählt in Deutschland allein die staatliche Zivilehe als rechtmäßig geschlossene Ehe. Von den rund 83 Millionen Deutschen leben Derzeit etwa 42 Prozent in einer Ehe oder eheähnlichen Gemeinschaft.
Dieses Brautkleid ist eine echte Sammlungsrarität und wird zum ersten Mal in einer Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert. 2011 hat es die Besitzerin Annemarie Hofner dem Museumsverein Dachau geschenkt.
Annemarie war, wie ihr späterer Ehemann nach dem Zweiten Weltkrieg als Heimatvertriebene nach Dachau gekommen und hatte im von der US-Militärregierung besetzten Sanatorium ›Moorbad‹ an der Münchner Straße Arbeit gefunden.
Moorbad-Annonce im ›Dachauer Anzeiger‹ vom 26. November 1949
Wenige Monate nach ihrer Hochzeit stand das private Sanatorium zum Verkauf. Nachdem auf Seiten der Stadt das notwendige Kapital fehlte, erwarb die Deutsche Bundepost 1951 das ehemalige Heilbad und ließ es für Ausbildungszwecke zur Schule mit Internatsbetrieb umgestalten.
Durch die schlechte Versorgungslage in den frühen Nachkriegsjahren und die finanzielle Not der angehenden Ehefrau schien es für die junge Braut zunächst unmöglich, sich ihren Traum in Weiß zu erfüllen. Hilfe kam von ihrem amerikanischen Vorgesetzten, von dem sie für die anstehende Hochzeit einen Fallschirm aus weißer Seide geschenkt bekam. Daraus ließ sie sich von einer Verwandten dieses lange Brautkleid schneidern.
Die Hochzeit von Annemarie und Helmut Hofner fand am 30. September 1950 in Dachau statt. Wenige Monate vor dem Tod des Mannes feierte das Ehepaar im Jahr 2010 gemeinsam ›Diamantene Hochzeit‹, das 60jährige Ehejubiläum.
Brautpaar in Schwarzweiß: offizielles Hochzeitsfoto von Annemarie und Helmut Hofner, 1950
Arbeitsjoppe
Baumwollköper mit Holzknöpfen, gefüttert
Süddeutschland 2. Hälfte 19. Jahrhundert
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Arbeit ist kennzeichnend für das Leben von Erwachsene. Das Erwachsenenalter umspannt nicht nur die längste Phase im menschlichen Leben, Erwachsenen erwirtschaften und organisieren für alle andere Altersgruppen, ob Kind, Jugendlicher oder alter Mensch, die ökonomischen und sozialen Bedingungen. Man kann sagen: Arbeit bestimmt das Leben des Erwachsenen.
Fabrikarbeiter, um 1920
Dennoch ist Arbeitskleidung in Museen eher selten anzutreffen, da sie lange Zeit nicht als sammelwürdig galt. Eine Ausnahme bildet diese abgetragene Jacke, die sich bereits seit über 100 Jahren im Museumsbestand befindet. In ihrem „ersten Leben“ gehörte sie jedoch einem jungen Mann von zierlicher Statur.
Seit der Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts waren Arbeitsjoppen bei den Arbeitern, ebenso im Handwerk wie auf den Höfen, den Feldern oder im Wald allgegenwärtig. Sie wurde während der kalten Jahreszeit über Hemd und Schaber (Schürze) getragen und dies tagtäglich und über Jahre hinweg!
Übrigens: Wie die allgegenwärtige Jeans ihren Ursprung in jenen robusten Arbeiterhosen hat, entsprechen die modischen Jeansjacken in Machart, Schnitt und Qualität jenen alten Arbeitsjacken.
Nähkörbchen und Stopfei, um 1920
Kleidungsstücke, die tagtäglich zur Arbeit getragen wurden, waren bald abgenutzt und beschädigt. Dieser Umstand eröffnet einen weiteren Blickwinkel: Während der Mann in der Öffentlichkeit dem Broterwerb für sich und seine Familie nachging, musste seine Arbeitskleidung am Abend von der Frau, Mutter oder Schwester, wieder in Stand gesetzt, d. h. geflickt und ausgebessert werden. Dies erledigten die Frauen meist zu Hause. Ihre Arbeit wurde nicht entlohnt und wenig oder gar nicht beachtet.
Geldkassette der ›Jocherschen Almosenstiftung‹ Eisenbeschlagener Deckelkasten aus Eschenholz mit Schloss, 29 x 48 x 30 cm, Dachau 1775
Die Nächstenliebe (lat. caritas) zählt zu den christlichen Tugenden. In Zeiten fehlender staatlicher Armen-, Invaliden- und Krankenfürsorge gründeten daher Wohltäter aus Kirche, Adel und Bürgertum, meist aus Sorge um das eigene Seelenheil, karitative Einrichtungen, die sich um die Kranken und Schwachen in der Gesellschaft kümmerten. Wie vielerorts existierte auch im Markt Dachau spätestens seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert ein »Armenhaus«.
Christoph Schmidt (1632 – n.e.): Bettler und Leprose, Kupferstich nach Jacques Callot, Augsburg um 1675
Ein Beispiel tätiger Nächstenliebe ist die Almosenstiftung des Geheimen Rats und Dachauer Pflegers Wilhelm Jocher (1565–1634) von 1628. Deren »Almosen-Cassa« wird heute im Museum bewahrt.
Wie sah die Stiftung aus? Zunächst hatte der fromme Rechtsgelehrte im Zusammenhang mit dem Bau der Dachauer Friedhofskapelle eine ewige Wochenmesse zu seinem und seiner Verwandtschaft Seelenheil gestiftet. Die Messen sollten abwechselnd in der Friedhofskapelle und in der von ihm gestifteten ›Jocherkapelle‹ in der Pfarrkirche gelesen werden. In seinem Testament hatte er festgelegt, dass die hoch dotierte Messstiftung nach seinem Tod in eine Almosenstiftung umgewandelt wird. Dies geschah 1634. Zunächst weigerte sich der amtierende Stadtpfarrer Kaspar Kölbl gegen die Umwidmung, er musste sich aber letztlich dem Willen des Stifters fügen.
Zukünftig erhielten aus dem Zinsertrag des Stiftungsvermögens von rund 8000 Gulden alle Freytag oder Sambstag, gleich nach der Friehmeß [=Frühmesse]... die 24 elendigisten, nothleidenten, presthaften, armen Persohnen jeglicher drey Kreuzer auf die Handt. Dafür sollten die Armen bey der Meß ieder Zeit für ihne, seine Frau, dero Eltern und Befreundten, zuegleich auch für gmaine Wohlfahrt andechtig petten. Sterzer [=Vagabunden], Faullenzer, Spiler, Miessiggänger, und starckhe Pettler, so Ihr Brodt gewünnen könden, sollten nach dem Willen Jochers keine Geldzuwendung erhalten.
Die testamentarische Verfügung ging noch einen Schritt weiter: Im Fall des Aussterbens des männlichen Zweigs der Familie Jocher, sollte das gesamte Familienvermögen einem wohltätigen Zweck zufließen und in Dachau ein Spital errichtet werden. Dieser Umstand trat 1702 ein.
Matthäus Merian (1593–1650), Dachau (Ausschnitt), 29,3 x 37,5 cm, Kupferstich, um 1644 – Die Straße benutzte auch Wilhelm Jocher für seine zahlreichen Fahrten zwischen der herzoglichen Residenz in München und seiner Wohnung im Schloss Dachau.
Wer war der Wohltäter? Wilhelm Jocher kam 1565 im Lungau im Erzbistum Salzburg zur Welt. Dort waren seine Vorfahren durch den Bergbau zu Vermögen gelangt. Durch den damit verbundenen sozialen Aufstieg gehörten sie zu den Salzburger »Landständen«. Jocher studierte in Ingolstadt, der damals einzigen Universität in Bayern, und promovierte 1592 zum Doktor der Rechtswissenschaften. Seine Studienfreundschaft mit dem acht Jahre älteren Wittelsbacher Herzogsohn Max sollte sich als hilfreich erweisen: Jocher, der das besondere Vertrauen des 1623 in den Kurfürstenstand erhobenen bayerischen Monarchen Maximilian I. (Regierungszeit: 1597 bis 1651) genoss, kam als Rat »von Haus aus« in den bayerischen Staatsdienst. In dieser vertrauensvollen Position stand er dem Herzog vor allem für Gutachten und Rechtsfragen bei politische Gesandtschaften zur Verfügung. 1604 erhielt er die Pflege in Dachau. Sie sicherte ihm ein zusätzliches Jahreseinkommen von rund 300 Gulden, die er vor allem in Naturalleistungen bezog. Sein beruflicher Aufstieg zum Geheimen Rat 1610 schlug sich 1613 auch in seiner Ernennung zum Reichsfreiherrn nieder. Insgesamt bezog er bis zu seinem Tod ein festes Jahresgehalt von rund 1360 Gulden. Wilhelm Jocher war ein entschiedener Gegnern der Hexenverfolgung. In seiner ersten Stellungnahme in einen solchen Prozess, die er aufgrund des Selbstmords einer wegen Hexerei verhafteten und gefolterten Frau anfertigte, rügt er scharf die von Hofrat Dr. Johann Sigmund Wagnereck geleitete Untersuchung: Die Indizien hätten nicht einmal für eine Verhaftung, und somit noch viel weniger für eine mehrfache Folter ausgereicht.
Wilhelm Jochers Ehe mit Anna Mittersbach blieb kinderlos, was den Stiftungsgedanken sicherlich beförderte. Wilhelm Jocher starb 1636 in München. Er liegt in der Stadtpfarrkirche St. Jakob in Dachau begraben.
Epitaph des Pflegers Wilhelm Jocher und seiner Frau Anna in St. Jakob in Dachau, 197 x 101 cm, Rotmarmor, 1636
Die Grabinschrift lautet: D(eo) O(ptimo) M(aximo... Dem Besten und Größten Gott. Wilhelm Jocher von Egersberg, Rechtsgelehrter, einst 13 Jahre lang Assessor am höchsten Gericht des Römischen Reichs in Speyer. Dann 32 Jahre Geheimer Rat und Pfleger von Dachau des ehrwürdigsten Herzogs von Ober- und Niederbayern und Kurfürsten des Heiligen Römischen Reichs Maximilian I. ...
Übrigens: Grablegen im Innern einer Kirche oder der Krypta waren bis ins 18. Jahrhundert Monarchen, Bischöfen und dem hohen Adel vorbehalten. Daher waren auch die Gräber meist repräsentativ gestaltet. Bürgern wurde eine Beerdigung im Kirchenraum nur in Ausnahmefällen zugestanden und setzte besondere Verdienste um das Allgemeinwohl voraus. Dazu bemerkte der große bayerische Rechtsgelehrte Wiguläus Xaver von Kreittmayr (1705–1790) süffisant: Viele bilden sich ein, dass sie vor dem Teufel sicherer wären, wann sie in der Kirch begraben liegen, welches aber eine große Einfalt ist und den geringsten Grund nicht hat. Allerdings ruht er selbst ebenfalls in einem Kirchenraum, nämlich in der Pfarrkirche St. Vitus in Offenstetten.
Jacob Schmid (1689–1740): Kleine Ehehalten-Legend, Oder Heiliger Dienst-Botten Leben,
Beyderley Geschlechts..., Pergamenteinband der Zeit, Augsburg 1738
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Das Buch ist ein außergewöhnliches Beispiel für die hochgesteckten Ziele der Volksaufklärung im ausgehenden 18. Jahrhundert. Darin wendet sich der bayerische Theologe Jacob Schmid nicht wie seine Zeitgenossen an eine gebildete Oberschicht und Geistlichkeit. Seine Zielgruppe waren die unterprivilegierten Randgruppen der Gesellschaft.
Vagant mit Drehleier(?) (Ausschnitt),
Holzmodel des Dachauer Lebzelters Franz Xaver Altherr, 17,5 x 10 cm, 1812
Dorfhirte aus Hilgertshausen-Tandern, um 1930
Mägde bei der Heuernte, um 1900
Diese Hinwendung zu den »schlechten« (erfolglosen) Bauern, zum bäuerlichen Gesinde (Ehehalten), zu den Hirten, »Kriegsleut«, Bütteln, Henkern und Henkersknechten, zu Räubern und Mördern, zu Gauklern, Komödianten, Schauspielern sowie sonstigen Vaganten heben die Persönlichkeit des Theologen und Schriftstellers ebenso wie sein gesamtes spätbarockes Werk aus dem Üblichen seiner Zeit heraus.
Zur populären Erbauungsliteratur des 18. Jahrhunderts zählen auch Schmids Legendensammlungen wie die in der Ausstellung gezeigte »Kleine Ehehalten-Legend«. Darin stellt er den Dienstboten in den Städten und Dörfern, den Mägden und Knechten in der Landwirtschaft und im Handwerkermilieu exemplarisch besondere Standesheilige vor. In dem er deren Vorbildfunktion betont, wirkte er auf Generationen von Angehörigen der »niederen Stände« erzieherisch ein.
Wer war der Autor? Jacob Schmid wurde 1689 in Bozen in der Grafschaft Tirol geboren. In jungen Jahren trat er in den Jesuitenorden ein, studierte Theologie und wurde zum Priester geweiht. Lange Zeit wirkte er als Erzieher und Schriftsteller in Landsberg am Lech. In seinen Schriften äußerte sich Schmid mehrfach auch programmatisch zur Frage des ›richtigen‹ Lesestoffes für die wenig gebildeten Massen. Beispielhafte Legendenerzählungen erschienen ihm hierfür besonders geeignet.
Übrigens: Jacob Schmid verfasste 1679 die Trauerpredigt für den verstorbenen bayerischen Monarchen Kurfürst Ferdinand Maria. Seine damals in der kurfürstlichen Hofkirche zu München gehaltene Rede ist fast 350 Jahre alt: Es gibt ein Land, das wir mit Füßen treten, nämlich diese Welt, in der wir mit unsern Nebenmenschen friedlich leben sollen. Es gibt ein Land, das wir mit uns tragen und das sind Leib und Seele, worin wir mit uns selbst Frieden haben müssen...
Gottfried Bernhard Göz (1708–1774): Sihe die Magd des Herrens, Kupferstich, Augsburg 1738
Jacob Schmids Legendenbuch für Dienstboten beyderley Geschlechts eröffnet programmatisch mit einer Darstellung der Gottesmutter Maria, aus christlich-theologischer Sicht das Ideal der gehorsam dienenden Magd. In der ›Verkündigung der Geburt Jesu‹ durch einen Engel berichtet der Evangelist Lukas von ihr u. a. die Worte: Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe wie du es gesagt hast. Der Augsburger Maler und Kupferstecher Gottfried Bernhard Göz hat den Bibelvers in einer belebten Wohnszene illustriert: Maria sitzt neben einer mit dem Jesus-Monogramm verzierten Wiege und füttert den Jesusknaben auf ihrem Schoß mit dem Löffel. Hilfsbereite Putti gehen ihr dabei beflissen zur Hand.
Übrigens: Gottfried Bernhard Göz, Sohn eines mährischen Schlossermeisters, ging nach seiner Malerlehre als Geselle auf die Walz (Wanderschaft), die ihn 1730 nach Augsburg führte. Dort wurde er Meister, erwarb 1733 das Bürgerrecht und diente als Hauptmann im städtischen Bürgermilitär. Göz war ein sehr gefragter Porträtist und Kupferstecher, der sich in der barocken Marienwallfahrtskirche Birnau in einem Selbstportrait verewigte. Kaiser Karl VII. verlieh ihm den Titel eines Hofmalers und Hofkupferstechers. Gemeinsam mit den Gebrüdern Klauber betrieb er einen renommierten Kunstverlag. Wie überhaupt zu dieser Zeit Augsburg für die halbe katholische Welt Heiligenbilder und Darstellungen für die religiösen Druckerzeugnisse lieferte.
Marlene Reidel (1923–2014): Der Räuber Kneissl
Holzschnitt-Illustrationen zum gleichnamigen Buch
München 1966
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...Mei Mutter war a Zweigerl vom Pascolini-Kern, drum hört des Hexenweiberl die Burschen-Gsangl gern. So lautet die erste Strophe des ›Kneißl-Lieds‹. Die schaurige Ballade, die bis heute populär ist, entstand bereits zu Lebzeiten des Müllersohns und ist in zwei Fassungen überliefert.
Die Moritat erzählt die Geschichte eines gescheiterten Lebens, das mit dem Tod auf dem Schafott endete.
Das ›Kneißl-Lied‹, vorgetragen vom Bänkelsängerpaar Zenta und Fredl Guha auf dem Museumsfest 1992 im Bezirksmuseum Dachau
Während das zeitgenössische ›Kneißl-Lied‹ das Leben des Räubers als Gesetzesbrecher thematisiert, schuf der bayerische Kabarettist Georg Ringsgwandl eine sarkastisch-gesellschaftskritische Version, in der es u. a. heißt: Wer ihn kennt hot, der hot g'wusst, der Mo is guat, der Mo is ehrlich. Oft gnuag hot der de geidign Leit scho wos g'numma - a so a Freid! Doch er hot's nia soiba b'hoitn, gibt's de Arma, gibt's de Oidn. Er war oana von de Oidn, er war oana von de Echtn. Aber g'jogt ham's eahm sei Lebn lang, wiar an Hund, an ganz an schlechtn.
Ähnlich wie die Lebensgeschichte des Räubers und Bandenchefs Matthias Klostermayr (1736–1771) beflügelte auch Kneißl die Phantasie der Menschen und taugte zur Räuberromantik. Die Sozial- und Kriminalgeschichte rechnet ihn dagegen aufgrund seiner Herkunft heute unter die Sozialrebellen.
Unterweikertshofen auf einem Holzschnitt von Marlene Reidel
Wer war der Unglückliche? Die Rede ist vom »Kneißl Hias«, der 1875 in Unterweikertshofen im Bezirk Dachau zur Welt kam und sicher unter schwierigen familiären Verhältnissen auf der ›Schachenmühle‹ bei Sulzemoos aufwuchs. Seine Mutter galt als herrschsüchtig und auftrumpfend, während der Vater eher als freundlicher und zurückhaltender Mann charakterisiert wurde. Bei der Verhaftung der Mutter wegen Diebstahl und Hehlerei kam er unter ungeklärten Umständen ums Leben. Beide Ereignisse dienen der Historie als Erklärung für die Entwicklung des jungen Matthias zum Räuber und Totschläger.
Das soziale Umfeld, in dem Matthias Kneißl mit seinen Geschwistern aufwuchs, pflegte in der Tat nicht die Rechtschaffenheit: Der Bruder der Mutter führte als Einbrecher ein kriminelles Leben und verbrachte dafür viele Jahre im Gefängnis, bevor er im Alter von 40 Jahren bei einem erneuten Einbruchversuch von seinem Kompagnon tödlich verletzt wurde.
Auch Matthias Kneißl kam bereits in jungen Jahren durch Schulschwänzen und unerlaubte Wirtshausbesuche mit dem Gesetz in Konflikt. Bald sorgten seine jugendlichen Raubzüge für Schlagzeilen in der zeitgenössischen Presse. Einer dieser Überfälle, bei dem ein Polizist schwer verletzt wurde, brachte ihm fünf Jahre Gefängnis. Nach seiner Entlassung fand der »Zuchthäusler« keinen gesellschaftlichen Halt mehr und setzte seine schweren Einbrüche fort. Nun wurde Jagd auf ihn gemacht. Während die Obrigkeit ihn als »Staatsfeind« betrachtete, brachten ihm Teile der Bevölkerung durchaus Bewunderung entgegen. 1901 wurde er erneut gefasst und dabei schwer verwundet. Durch seine Hinrichtung 1902 gelangte er schließlich zu zweifelhafter Berühmtheit. So soll er auf dem Weg zur Guillotine gesagt haben: De Woch’ fangt ja scho guat o.
Skizze der ›Schachenmühle‹, anonyme Zeichnung auf der Rückseite einer Erinnerungsurkunde des landwirtschaftlichen Vereins von Oberbayern, 1893, Gde. Sulzemoos
Die ›Schachenmühle‹ war um 1820 vom Sulzemooser Hofmarksherrn errichtet worden und lag zwischen Sulzemoos und Altstetten am Steindlbach. Der Flurname »Schachen« bezeichnet einen kleinen, allein stehenden Wald auf freiem Feld und wurde schon in der Barockzeit als Sulzemooser Jagdrevier erwähnt.1886 hatte Kneißls Vater die Landmühle für knapp 10.000 Reichsmark erworben. Nach seinem Tod kam sie 1892 in den Besitz der Gemeinde Sulzemoos. Heute ist an der Stelle des ehemaligen Anwesens nur noch der ehemalige Mühlenteich zu erkennen.
Alltag in der ›Schachenmühle‹: Mutter, Vater und die Kneißl-Kinder, am Tisch zwielichtige Gäst’
Bei der Jagd auf Kneißl
Auf der Flucht
Im Gefängnis
Die Malerin und Illustratorin Marlene Reidel (1923–2014) erzählt die Lebensgeschichte des Räubers in 12 Holzschnitten. Reidel gilt als Mitbegründerin des künstlerisch anspruchsvollen Kinderbuchs der Nachkriegszeit in Deutschland. Die gebürtige Landshuterin studierte an der Akademie der Bildenden Künste in München und war mit dem Landshuter Bildhauer Karl Reidel verheiratet. Neben ihrer Arbeit als Kinderbuchautorin war sie in den 1960er-Jahren auch als Bühnenbildnerin für das Berliner Schauspielhaus tätig.
Josef Anton Huber (1799 –1868)
Schneidermeister Matthias Raufer und seine Frau Franziska
je 71,5 x 59 cm
Öl auf Leinwand
Dachau 1828
Kleider machen Leute: Auf den halbfigürlichen Portraits präsentiert sich das Dachauer Handwerkerpaar Mathias und Franziska Raufer standesgemäß in bürgerlicher Kleidung. Der Schneidermeister trägt unter dem dunklen Tuchrock ein weißes Hemd mit einer gelben Weste mit Stehkragen, wie sie in der Biedermeierzeit modern waren, und um den Hals eine ebenso zeittypische Binde aus schwarzem Satin.
Auch dieses Bildnis eines Dachauer Handwerkers ist in der Ausstellung zu sehen: Georg von Urlaub (1844 –1914): Bei der Arbeit, 86 x 80,6 cm, Öl auf Leinwand, 1910, Museumsverein Dachau
Bei der Arbeit war der Handwerker sicherlich anders gekleidet. Dann trug er, wie allgemein üblich, einen ›Schaber‹, eine lange Latzschürze, um darunter die Alltagskleidung vor Schmutz und Beanspruchung zu schützen, so wie es auf dem Handwerkerportrait des Malers Georg von Urlaub, das ebenfalls in der Ausstellung gezeigt wird.
Die Frau präsentiert sich in ihrer Kleidung ebenfalls standesgemäß in der Mode ihrer Zeit. Sie trägt ein weit ausgeschnittenes dunkelblaues Mieder mit einem darin eingesteckten weißen und mit rosa Rosen verzierten Schultertuch. Ihren kräftigen Hals schmückt ein ›Kropfbandl‹, eine breite, zehnreihige Perlenkette mit einer goldenen Schließe. Auf dem Hinterkopf trägt sie eine goldfarbene bestickte Riegelhaube. Schmuck und Kopfbedeckung weisen sie als wohlhabende Bürgersfrau aus. Dennoch erscheint sie in ihrer Kleidung etwas konservativer als ihr Mann. Die Münchnerinnen bevorzugten bereits im späten 18. Jahrhundert die Riegelhaube, die daraufhin bald auch in weiten Teilen Süddeutschlands von den Bürgerinnen in den Landstädten und Märkten getragen wurde.
Aus der Münchner Schönheitsgalerie König Ludwigs I.: Helene Sedlmayr, Bildnis von Joseph Karl Stieler (1781–1858), 71.4. x 58,2 cm, Öl auf Leinwand, um 1830, Schloss Nymphenburg
Für die Ausstellung wurden beiden Gemälde vorübergehend aus ihren originalen Rahmen genommen. Diese Bilderrahmen sind aus profilierten, in Braun- und Schwarztönen bemalten Holzleisten hergestellt und imitieren hochwertiges und teures Wurzelholz. Auch sie demonstrieren, wie die formelle Kleidung der Abgebildeten, das Selbstbewusstsein des bürgerlichen Handwerks in dieser Zeit.
Wer aber waren die Portraitierten? Beide, Matthias Raufer und seine Frau Franziska, stammten aus Familien, in denen seit langer Zeit das Schneiderhandwerk ausgeübt wurde. Matthias kam im Markt Dachau in der Wienigerstraße als ältester Sohn des Kaplschneiders zur Welt. Er folgte seinem Vater in diesem Beruf nach. 1806 heiratete er mit 23 Jahren die um acht Jahre ältere Franziska, das einzige Kind des Schneideralois, und übernahm die Schneiderei seines Schwiegervaters in der Klosterstraße. Die elterliche Schneiderwerkstatt erbte die jüngere Schwester Anna, die 1818 den Schneidersohn Michael Wening ehelichte. Zum Zeitpunkt der Entstehung der Portraits, war Matthias 45 Jahre, Franziska 53 Jahre alt.
Von den fünf Kindern des Paars starb Anna Maria 1814 noch am Tag der Geburt, die Töchter Monika Franziska und Maria Katharina im Kindesalter. Einzig die Tochter Maria Anna wurde groß und heiratete den ortsansässigen Bader Michael Scharl. Nach dem Tod Matthias Raufers führte sein einziger Sohn Max, der wie der Vater das Schneiderhandwerk erlernt hatte, die väterliche Werkstatt fort. Und auch in den nachfolgenden Generationen blieb das Schneiderhandwerk in der Familie.
Noch heute steht am Schrannenplatz in der Altstadt von Dachau das stattliche ›Raufferhaus‹, das die Nachfahren von Matthias Raufer 1892 erbauen ließen. An der Fassade erinnert eine Tafel an die Jahre, in denen der junge Jurist und angehende Schriftsteller Ludwig Thoma (1867 –1911) hier zur Miete wohnte.
Ein aus einem absonderlich großen Stadel hervorgegangenes Dachauer Bürgerhaus: Das ›Raufferhaus‹ an der Augsburger Straße, 2020
Übrigens: Auch der Schöpfer der Portraits stammte aus einer Handwerkerfamilie. Josef Anton Huber war der Sohn eines Schuhmachers, der kurz vor 1828 aus Tirol nach Bayern zugewandert war und in Dachau die Bauerntochter Magdalena Schöppel aus Neuhaus am Inn geheiratet hatte.